Es ist Montagmorgen. Du liest die Blaupause, den Newsletter, mit dem du Communitys besser verstehst und erfolgreich Mitgliedschaften anbietest. Heute: Die Essenz des Journalismus.

Hallo!
Immer im Herbst ist in der Schule meiner zehnjährigen Tochter Projektwoche. In diesem Jahr glaubte ich etwas beitragen zu können, denn das Thema war Medien und Journalismus. Ich meldete mich zum Freiwilligendienst, um mit den Schüler:innen ein Klassenmagazin zu planen und bei Produktion und Redaktion zu helfen.
Ich fürchte, das Ganze war für mich interessanter war, aber auch sie schienen eine Menge Spaß zu haben. Allein der Geruch, als am Ende der Woche im Copyshop die ersten DIN-A5-Magazine aus dem Drucker surrten – wer jemals eine Schülerzeitung gemacht hat, erinnert sich.
Was ist die Essenz des Journalismus?
Die Vorbereitung auf das Thema Journalismus stellte mich vor eine interessante Frage: Wie kann man die Essenz so beschreiben, dass auch zehn- und elfjährige Mädchen und Jungen verstehen und nachvollziehen können, was daran besonders und wichtig ist?
Das sind heutzutage auch ein allgemein relevantes Thema, wenn man Umfragen zum Vertrauen in die Medien betrachtet. Ganz unabhängig von „Lügenpresse“-Extremismen ist es vielen Leuten heute weniger klar als noch vor ein paar Jahren, warum Journalismus besondere Glaubwürdigkeit und Bedeutung haben sollte. Journalist:innen haben ein Legitimationsproblem.
(Öffnet in neuem Fenster)Mir fiel auf, wie wenig der Begriff „Journalismus“ sagt, wenn man ihn nicht kennt. So stolz viele Journalist:innen auf diesen Begriff sind und ihn als Teil ihrer Identität vor sich hertragen, so unbedeutend klingt er für nichts-ahnende Schüler:innen.
Objektiv betrachtet ist der Begriff „Journalismus“ schlicht ein weiterer ominöser -ismus. Ein akademisch klingendes Fremdwort – die man an Journalistenschulen eigentlich von Anfang an zu vermeiden lernt.
Tim und Struppi zur Hilfe
Ich hatte aber einen Plan. Auf der riesigen Smart-Tafel mit Touch-Display (finanziert mit einem Preisgeld beim Schulwettbewerb) konnte ich eine Präsentation zeigen. Das erste Bild darauf waren: Tim und Struppi. Tatsächlich gab es Schüler:innen, die sofort einiges über diese Helden erzählen konnten und auch wussten, was Tim beruflich macht: Reporter. Jemand, der durch die Welt streift, um Geheimnisse aufzudecken.
Cool!
1) neu
Reporter:innen wie Tim und Struppi berichten nicht, was alle schon wissen. Die Aussicht, eine Woche lang durch die Schule zu streifen und etwas Neues herauszufinden, fanden sogar die nicht besonders disziplinierten Rowdie-Jungs spannend. Mein erster Punkt: Es ist Journalismus, wenn es neu ist.
2) wahr
Von ganz allein kam die Diskussion dann auf meinen zweiten Punkt: Was du schreibst, muss wahr sein. Liegt ja eigentlich auf der Hand, aber wir mussten erst an mehreren Beispielen klären, dass es nicht reicht, irgendwo etwas gehört oder gelesen zu haben. Es braucht eine vertrauenswürdige Quelle, die unter allen Umständen geschützt werden muss. Und wenn es wirklich wichtig ist, braucht es eine zweite Quelle. Es muss stimmen, sonst ist es kein Journalismus.
3) wichtig
Der dritte Punkt ergab sich ebenfalls aus dem Gespräch. Die Klassen-Reporter:innen sahen sich zwar schon an schummrig beleuchtet Winkeln des Hausi-Kellers nach News forschen. Aber wonach genau? Ob es z.B. um das Spiel der Nationalmannschaft gehen könnte, lautete eine Frage, oder ob es etwas mit der Schule zu tun haben müsste? Anders formuliert: Sie fragten nach der Relevanz.
Es muss wichtig sein, lautet mein Versuch einer Antwort, wichtig für das Leben derjenigen, für du berichtest; in unserem Fall Schüler:innen, Lehrkräfte und Eltern. Allgemein bekannte Nachrichten erfüllen das nicht. Es muss wichtig sein, nur dann gehört es in die Zeitung.
So haben wir in knapp zwei Stunden eine ziemlich gute Definition von Journalismus hinbekommen: Neu, wahr und wichtig muss er sein, sonst isses keiner.
Themen
Das war der schwierige Teil. Die Themen waren dann schnell gefunden. „Wie kommt ihr auf eure Themen?“ werden Journalist:innen ja manchmal gefragt. Dabei ist das das kleinste Problem, auch bei unserer Klassenzeitung. Themen zu finden für Storys, die neu, wahr und wichtig ist, fiel uns leicht.

Schnell ging es um den geheimnisvollen Turm, von dem niemand weiß, warum er eigentlich nicht betreten werden darf. Auch um die Frage, warum das Schulessen eigentlich so schlecht ist und was anonyme Mitarbeitenden des Caterers darüber denken (Titelgeschichte!). Die magazinig wie ein Profi gedachte Frage „Wie fühlt es sich an, zu gewinnen?“ (an die beste Fußball-Mannschaft der Schule) fand ich richtig gut.

Man lobt junge Leute ja vorschnell und gönnerhaft, aber ich war tatsächlich beeindruckt davon, wie produktiv 9- bis 12-jährige Reporter:innen arbeiten. In einem Alter, in dem die Schule routinemäßig Stunde um Stunde Wissen in kleine Köpfe stopft, sind diese wirklich leistungsfähig. Dienstag ging es los, am Donnerstagnachmittag wurde gedruckt.
Die Technikfrage ist inzwischen gelöst
Die technischen Hürden, die wir früher hatten, um eine Klassenzeitung zu produzieren (teilweise noch Schreibmaschine, Kopierer, Filmentwicklung), sind heute praktisch weg. Design, Layout und sogar Korrektur übernehmen einfach zu bedienende digitale Tools. Natürlich gab es in der Klasse einige, die den Computer-Kram in kürzester Zeit beherrschten, obwohl sie sie nie zuvor gesehen hatten.
Für die Produktion war beim Designtool Canva gelandet, wo man layoutete Dokumente erstellen kann, an denen viele gleichzeitig arbeiten können. Mit einem Magazin-Template konnte ich schnell eine Vorlage bauen, aus der die Schüler:innen dann mit viel Arbeit ein komplettes 24-seitiges Magazin gestaltet haben – mit Fotos, Texten, Illustrationen, verschiedenen Formaten und Themen.
Alle, die selbst eine Klassenzeitung produzieren wollen, finden hier die Canva-Vorlage (Öffnet in neuem Fenster).
https://www.canva.com/design/DAG1wAA2kwE/YYAZ9lAnuJqxQcRO6iovfg/view?utm_content=DAG1wAA2kwE&utm_campaign=designshare&utm_medium=link&utm_source=publishsharelink&mode=preview (Öffnet in neuem Fenster)Was bleibt und was verschwinden wird
Das Ergebnis sah … professionell aus. Es ist für die Medienproduktion zunehmend unwichtiger, dass Menschen sich intensiv damit befassen. Die Tools machen das meiste allein. Ein paar Jahre in die Zukunft gedacht, übernimmt künstliche Intelligenzen wohl Jobs, die heute tausende Redakteur:innen, Produzent:innen und ihre Chefs erledigen. Die professionelle Medienproduktion, auf die viele Journalist:innen bis heute stolz sind, ist bald nicht mehr das, was diesem Beruf seine Existenzberechtigung gibt.
Ich will die Woche in der Schule nicht überhöhen, aber ich glaube, ich habe verstanden, dass sich der Journalismus auf seine Kernkompetenz zurückbesinnen sollte: Dinge rauszufinden, die neu, wahr und wichtig sind.
Bis nächsten Montag!
👋 Sebastian
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