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Wie Podcasts im Radio funktionieren

Es ist Montagmorgen. Du liest die Blaupause, den Newsletter, mit dem du Communitys besser verstehst und erfolgreich Mitgliedschaften anbietest. Heute: Ein Interview mit Christian Bollert, dem Gründer von detektor.fm.

Hallo!

Ich möchte kurz noch mal auf die Blaupause der vergangenen Woche zurückkommen. Zur Erinnerung, da hatte ich geschrieben:

Reiche Rechte bauen Medien wie Nius mit langem Atem als neue Infrastruktur für eine Gegenöffentlichkeit auf. Es gibt viele Stimmen und Medien, die eine nicht-populistische Alternative bieten. Sie sind nur nicht so gut organisiert und finanziert. Ein Medium mit Fernsehlizenz und digitalem Radiosender ist mir nicht bekannt. Dabei wäre genau das im Interesse eines demokratischen Austauschs dringend nötig. Ich würde gern selbst etwas tun, so eine Infrastruktur aufzubauen. Ein digitaler Radiosender mit Inhalten aus nicht rechtspopulistischen Podcasts wäre ein Anfang.

In der Zwischenzeit ist mir eingefallen, dass ich genau so einen Sender tatsächlich doch kenne: detektor.fm (Öffnet in neuem Fenster) aus Leipzig. Dieses Podcast-Radio gehört zu den wenigen nachhaltig erfolgreichen Mediengründungen in Deutschland. Wie genau er das hinbekommen hat, habe ich im am Freitag Detektor-Gründer Christian Bollert gefragt.

„Wir nennen uns das Podcast-Radio“

Detektor.fm-Gründer Christian Bollert (Foto: Susann Jehnichen / detektor.fm)

Christian ist Jahrgang 1982, Abi in Potsdam, Kommunikations- und Medienwissenschaft in Leipzig, Volontariat beim MDR. 2009 gründete er mit Kommilitonen Detektor.fm (Öffnet in neuem Fenster). Heute produziert Detektor.fm (Öffnet in neuem Fenster) Podcasts für Verlage und Öffentlich-Rechtliche, betreibt ein eigenes Radioprogramm über DAB+ in Sachsen und bundesweit im Internet.

Christian, ihr habt mit detektor.fm (Öffnet in neuem Fenster) schon auf Podcasts gesetzt, als kaum jemand wusste, was das sein soll. Hattest du 2009 schon eine Vorstellung, was daraus werden könnte?

Nein, ganz ehrlich, das konnte man damals nicht absehen. Ich habe in Leipzig studiert und da fiel mir auf, wie einförmig das Radioprogramm im Vergleich zu meiner Heimat Potsdam dort war. Wir waren damals vier Leute aus dem Freundes- und Bekanntenkreis, hatten uns übers Uniradio kennengelernt. Ich habe mein Volontariat beim MDR gemacht und schon damals gemerkt, dass da noch mehr geht. Also haben wir einen Ausgeh-Podcast für Leipzig gestartet. Der hatte auf einmal 500, 600 Hörer – mehr, als wir erwartet hätten. Die große Frage war: Was wäre, wenn man so etwas nicht nur für Leipzig macht, sondern für ganz Deutschland?

Ihr habt dann gewagt, ein Unternehmen zu gründen – mitten in der Finanzkrise, ohne Startkapital, ohne Investor. 

Wir haben einen Businessplan geschrieben, unterstützt von der Gründerinitiative der Uni Leipzig, und sind damit zu mehreren Banken gelaufen. Damals wusste wirklich niemand, was ein Podcast ist – oder wie ein Internetradio funktionieren soll. Aber die Sparkasse Leipzig hatte tatsächlich einen Berater, der meinte: „Ich verstehe zwar nicht ganz, was ihr vorhabt, aber ich glaube ans Internet – und dass ihr das ernst meint.“ Die haben uns 80.000 Euro Kredit gegeben.

Was genau habt ihr euch von diesem Kredit gekauft? 

Wir haben das meiste für professionelle Studiotechnik ausgegeben und – durch einen kleinen Kniff – auch für Liquidität genutzt: Wir haben das als „Sale and Lease Back“-Modell gemacht. Heißt, wir haben die Technik erst gekauft, dann an die Bank verkauft und dann über fünf Jahre zurückgeleast. Dazu kam ein Gründerstipendium für ein Jahr für drei Leute, das uns anfangs ein bisschen Luft verschaffte. Unser erstes Büro war eher ein Coworking-Space. Wir haben Arbeitsplätze günstig an freie Kolleg:innen vermietet, und der Deal war: Ihr bezahlt wenig, gebt uns aber regelmäßig Inhalte fürs Programm, weil wir als kleine Redaktion niemals 24 Stunden Programm hätten allein produzieren können. So entstand ein kleines Ökosystem.

Im Detektor-Studio

Ihr kamt vom Radio – wie kam dann der Switch zum Podcast?

Ab 2016 haben wir gemerkt, wie stark das Podcast-Thema in Deutschland wächst. Der Podcast-Markt ist regelrecht explodiert. Seitdem denken wir alles „Podcast first“. Das bedeutet: Wir entwickeln zuerst Podcast-Formate, schauen dann, wie sie ins Radioprogramm passen. Seit  2019 nennen wir uns offiziell „das Podcast-Radio“. Heute sind wir eine der größten unabhängigen Podcast-Produktionsfirmen in Deutschland, mit rund 25 Mitarbeitenden. Die meisten großen Player im Podcast-Geschäft sind Tochterfirmen von Medienkonzernen oder Öffentlich-Rechtlichen. Da ist detektor.fm (Öffnet in neuem Fenster) mit unserer Ost- und Startup-Geschichte schon eine Ausnahme.

Wie wichtig ist für euch die Herkunft aus Ostdeutschland?

Früher wollten wir nicht auf „Ost-Medien“ reduziert werden, zumal wir unsere Podcasts und unser Programm für das gesamte Land produzieren und auch überall in Deutschland gehört werden. Seit ein, zwei Jahren gehen wir offensiver damit um. Wir sind das größte Podcast-Label im Osten, eine der ganz wenigen digitalen Medienneugründungen der letzten 15 Jahre in Ostdeutschland. Das wird mittlerweile als Stärke gesehen – gerade, wenn es um gesellschaftliche Debatten, regionale Kompetenz oder die Förderung von Medienvielfalt geht. 

Ihr spielt im Programm auch Podcasts von anderen Verlagen und Macher:innen, nicht nur eigene Produktionen.

Das war tatsächlich eine Erkenntnis in einer Redaktionssitzung: „Warum spielen wir eigentlich nur unsere eigenen Podcasts? Wir machen das bei Musik doch auch nicht.“ Seitdem laufen im Programm zum Beispiel „Geschichten aus der Geschichte“, „Was jetzt?“ von der Zeit, „Hotel Matze“ und verschiedene Politik- und Rechtsformate von unabhängigen Podcaster:innen. Wir merken aber auch: Wenn Podcast-Elemente im Radioprogramm zu lang sind, schalten viele Leute ab. Fünf bis zehn Minuten funktionieren gut, danach wollen viele wieder Musik hören.

Ihr sendet im Digitalradio DAB+ in Sachsen. Wie habt ihr das hinbekommen?

Ich fand den Gedanken immer spannend, nicht nur ein Streaming-Angebot zu haben, sondern tatsächlich als Radioprogramm mit festem Sendeplan zu laufen. Es gibt viele Menschen, die sich morgens nicht aktiv für einen Podcast entscheiden, sondern einfach Radio anmachen. In Sachsen hat die Landesmedienanstalt vor ein paar Jahren ein Pilotprojekt für die lokale Verbreitung in Leipzig gestartet. Die positiven Rückmeldungen von Leuten, die uns dann im Auto entdeckt haben, haben uns ermutigt, vor zweieinhalb Jahren in ganz Sachsen auf DAB+ zu gehen.

Warum gibt es detektor.fm (Öffnet in neuem Fenster) nicht bundesweit im Digitalradio?

Das ist zu teuer. Allein die technische Verbreitung kostet rund 1,2 Millionen Euro im Jahr. Dazu kommt das Personal, Redaktion, laufende Kosten. Unter drei bis vier Millionen Euro pro Jahr ist das nicht zu machen. Die großen Ketten investieren viele Millionen und hoffen, dass sie mit Massenreichweite irgendwann genug Werbeeinnahmen erzielen. Für ein unabhängiges Projekt wie unseres ist das aber utopisch.

Warum ist Digitalradio so teuer? Ist digital nicht günstiger?

Die Technik ist zwar digital, aber der Betrieb läuft über die Infrastruktur weniger Dienstleister, die im ganzen Land verteilte Sendemasten mit Antennen betreiben, ähnlich wie beim Mobilfunk. Das ist natürlich teuer. 

Ein Sender wie Nius mit einem reichen Finanzier im Hintergrund, der eine rechtspopulistische politische Agenda durchdrücken will, kann das in mehreren Bundesländern offensichtlich zahlen. Aber wie könnte das für journalistisch ambitioniertes Projekt wie eures gehen?

Es wäre wirtschaftlich zumindest extrem schwer. Das kann man eigentlich nur mit Unterstützung von Stiftungen und aus der Zivilgesellschaft solche Projekte realisieren. Werbung reicht einfach nicht, für hochwertigen Journalismus jedenfalls, der auch ein jüngeres, urbanes Publikum erreicht.

Wenn jemand mit tiefen Taschen diesen Newsletter liest – wie viel Geld bräuchte es für ein bundesweites detektor.fm (Öffnet in neuem Fenster)-Programm?

Rechne mit mindestens 1,5 Millionen Euro im Jahr für die Frequenz und Technik, und dann das Doppelte nochmal für Redaktion und Produktion, also drei bis vier Millionen jährlich. Die Lizenz hätten wir, das Know-how auch. Es fehlt schlicht das Geld – und das Bewusstsein, dass Medieninfrastruktur gesellschaftliche Relevanz hat und dass es sich lohnt, in neue Modelle zu investieren. ◾​

Bis nächsten Montag!
👋 Sebastian

Mitglieder-Bereich 🔒

Wie ich mir die Zukunft von journalistischen Geschäftsmodellen vorstelle, hat ein Fachmagazin gefragt. Hier meine Antwort:

Kategorie Startup

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